Zweite Woche – Montag

Ich oute mich jetzt mal. Ich bin ein Montagslover.
Montage sind so frisch. Wie ein kleiner Neubeginn. Ich habe Kraft und Mut getankt am Wochenende.
Die Seele gestreichelt. Und nun geht’s wieder frisch voran.
In meine zweite Woche ohne zu kauen.
Ein bisschen neugierig bin ich schon,
deshalb krame ich doch die Waage aus dem Schrank.
Neben dem Fasten tracke ich ja meine Gemüsesuppe noch bei dem blauen Doppel- W.
Und dort ist Montag Wiegetag. Punkt.
Ich starre etwas überrascht aufs Display. Steige wieder hinunter. Wieder drauf. Schüttele den Kopf.
Seit Januar habe ich ja schon einiges abgeworfen. Einfach so.
Aber DIESE Zahl hätte ich nun nicht erwartet.
Was das bedeutet,
sickert nur ganz langsam durch mich hindurch.
Dieses kribbelige Glücksgefühl. Ich lache. Ich tanze. Ich wecke den LieblingsIngo!
Ich habe in zwei Monaten –nein, ich verrate es doch nicht – KILOGRAMM abgespeckt?!
Irre!
Eigentlich ist es gar nicht wichtig, wie viele Kilogramm es sind.
Meine Lieblingshose von 2019 passt wieder. Und ich bin wieder ein UHu.
Das allein reicht schon. Und das ich es geschafft habe.

Da isse nun also wieder. Die Winnie, die ihr Ding durch zieht.
Wie habe ich sie vermisst, in den letzten zwei Jahren!
Ich spüre eine unbändige Lebensfreude.
Gedämpft durch den Krieg in der Ukraine. Aber trotzdem da.
Es ist komisch, sich über etwas zu freuen. Über so etwas Banales wie Abnehmen.
Es zerreißt mir das Herz. Darf ich mich darüber freuen? Mein Leben einfach so weiter leben?
Ändert es etwas, wenn ich auf schöne Dinge verzichte?
Ich habe mal einige Zitate gesammelt, die genau diesen Konflikt in meinem Inneren Kontra bieten:

„In den letzten Jahren war immer irgendwo Krieg. Nur ist er jetzt für uns nah.“
Katharina Thalbach (Schauspielerin und Regisseurin der Oper Aida in der Semperoper)

„… doch diese Rechnung geht nicht auf:
Zwanzig deutsche Panikattaken retten kein einziges ukrainisches Leben und beenden auch nicht den Krieg.“  

ARD- Presseclub

Hier gibt es wertvolle Tipps, wie man mit der Situation umgeht:
Ein guter Plan

Gerade eben geht es auch im Radio um Angst. Am besten hilft die Schreibtherapie.
Ich soll alles aufschreiben, was mich bedrückt. Oder erfreut. Denn Schreiben heilt die Seele.
Angst nützt jedenfalls niemandem. Und ändert auch nichts. Sie lähmt nur.
Und deshalb werde ich hier weiter schreiben.
***

Zweite Woche – Dienstag

Heute ist Internationaler Frauentag.
Nach einem ganz normalen Bürotag mit abschließendem Latschiergang
holt mich der LieblingsIngo vom Bus ab:
„Alles Gute zum Frauentag! Suppenkasperst du eigentlich noch?!“
Ich bin etwas irritiert. Eigentlich interessiert er sich nicht für meine Essensgewohnheiten.
Ich schaue fragend.
„Ich wollte mit dir essen gehen. Frauentag und so!“
Romantisch kann er, das muss man ihm lassen.
Ich denke darüber nach.
Ich möchte schon gern mal wieder essen gehen. So richtig.
Mit dem LieblingsIngo.
Geht ja nun wieder. Schließlich habe ich mich deshalb vorfristig boostern lassen.
Aber deshalb jetzt mittendrin aufhören mit dem Suppenkaspern möchte ich auch nicht.
Ich schüttele also den Kopf.
Verweise auf meine Motivationshose, die gut sichtbar am Schrank baumelt und leider noch nicht passt.
Der LieblingsIngo versteht.
Und kocht Suppe. Aus der Tüte.
Suppenliebesternchentütensuppe!
Für mich ohne Sternchen. die hat er ausgesiebt.
Ich sag ja, romantisch kann er, der LieblingsIngo!

Zweite Woche – Mittwoch und Donnerstag

Ich habe jetzt schon wieder fast eine Woche nichts gekaut.
Kann man vergessen, wie das geht? Ich fühle mich fit wie nie.
Und irgendwie schwebe ich durch die Tage.
Es ist wahnsinnig tolles Wetter.
Strahlend blauer Himmel. Morgens eiskalt und nachmittags freundlich.
Es riecht nach Frühling.
Die Gesträuchdinger am Wegesrand knospen aus.
Die Vögel zwitschern und wenn ich durch den Palmenpark latschiere, weht von überall fröhliches Lachen.  So umhüllt von Zwitschern und Gelächter, fühle ich mich völlig frei.
Glücklich.
Dann denke ich an die vielen Menschen, die das nicht genießen können.
Aus welchem Grund auch immer. Man hat nicht immer selbst Einfluss auf sein Leben.
Das finde ich unheimlich schade. Und bedrückend.
Meine Laune wechselt irgendwie ständig zwischen vertraurigt und beglückst hin und her.
Meine Sensibel- Coachin hat mir empfohlen, alle Gefühle anzunehmen, wie sie kommen.
Das habe ich während der letzten zwei Wochen trainiert.
Nichts weglachen. Kein *Alles gut*.
So kann es natürlich auch  passieren, dass mir die Salztröpfchen aus den Augen kullern, während ich lächelnd Leipzigs Straßen durchquere und vor mich hin reime:

*
Ich mag einfach meine Fantasie,
weil der Regen für mich wie Musik klingt.
Sie macht, dass ich in Pfützen spring‘.
Ich mag meine gute Laune,
weil sie  mir mein Lachen bringt.

Ich mag, wenn jemand mein Lieblingslied für mich singt.
Ich mag den Abendwind,
wie er klingt,
wenn er beginnt,
durch die Wipfel zu rauschen.
Ich mag es stehen zu bleiben,
um zu lauschen.

Ich mag es am Lagerfeuer sitzen,
im hellen Feuerschein zu schwitzen.
In die Glut starrend, die ganze nacht ausharrend.
Ich mag es, auf Glühwürmchen zu warten,
dabei einzuschlafen und morgens im Gras liegend erwachen,
weil mir das Sonnenlicht in die Augen blinkt.
Ich mag halt so komische Sachen,
die so schwer einfach sind.
*

Während meiner Fastenzeit hat sich noch mal einiges in mir gelöst.
Ich bin noch ungezwungener geworden.
Latschiere durchs Leben, ohne zu challengieren.
Endlich fühlt sich alles stimmig an.
Der Abschluss einer ziemlich schwierigen Zeit.
Das MiMiMi- Abitur sozusagen!
Ich fühle mich wie ein neues Notizbuch:
Leer und offen für Neues.
Jetzt bin ich mit mir selbst im Reinen, irgendwie.

Zweite Woche – Freitag

„Mir sind Dinge widerfahren. Und ich bin scheiße darin, diese zu verarbeiten.“
Winnie


Deshalb suche ich mir wohl immer wieder Menschen aus,
die mich diese Dinge immer wieder erleben lassen…

Zwei Wochen habe ich gefastet.
Physical-Digital- Menthal Detox
Mir geht es gut. Der Frühling ist da. Jedenfalls tagsüber. Man könnte also mal wieder einen Blick riskieren. Ins Social Media. Und sofort knalle ich wieder auf den Boden.
Ich agiere nicht in den Social Medias.
Sondern antworte auf die E-Mail, die ich bekommen habe.
Und prompt geht es wieder los.
Ich bekomme keine Antwort.
Ich warte.
Schaue alle paar Minuten aufs Handy.
Frage mich, warum ich mal wieder keiner Reaktion wert bin. Irgendetwas muss mit mir nicht stimmen.
Ich komme gar nicht auf die Idee, dass vielleicht mit dem Anderen etwas nicht stimmt.
Ich stelle mich selbst in Frage.

So wollte ich mich nicht mehr fühlen. Nie mehr.
So what!
Es ist nicht wichtig. So für die große, weite Welt.
Und ich bin eben nicht wichtig. Für diese eine Person.
Das tut natürlich scheiße weh.
Vielleicht bin ich für diese, eine Person nichts wert.
Aber…
dann hat sie mich wohl auch nicht verdient.

Ich halte es ab jetzt wie P!NK :
„I’m not gonna miss a beautiful day just cos the day before hurt“ – P!nk
Und vom Mond aus betrachtet ist eh alles nur halb so schlimm.