59,51 Kilometer – 40.393 Schritte

Ich bin ja eine Extremstfrischluftfanatikerin.
Deshalb geniese ich meine allabendlichen Latschiergänge.
Und nachdem ich neulich am hellichten Nachmittag ganz zielsicher
und ohne Umwege zum Lindenauer Friedhof gefunden habe, fühle ich mich relativ sicher.
Ich bin die beste Latschiergängerin auf Leipzigs Straßen.

Montag – 16:30 Uhr – irgendwo mitten in Leipzig…
Schnell eine HerzchenNachricht an den LieblingsIngo geschickt, mit den Abholdaten. Dann zog ich los. Am Elstergraben entlang, genau wie am Freitag.
Nur eben nicht im Hellen.
Und deshalb auch nicht den Schleichweg am Elstergrabenufer.
Auf der Straße nach rechts.
Geradeaus. Dann nach links. Und wieder geradeaus.
Ganz einfach.
Ich schaue in die Gegend. So schön hier… und… ähm…

BÄM – plötzlich war ich wieder ganz woanders.
Ich könnte schwören, hier war ich noch nie!
Boarr.
Glaubt mir, ich mache das nicht mit Absicht!
Die Straße hat die Richtung geändert!

Vorsichtshalber steige ich in eine Straßenbahn.
Ich meine mich daran zu erinnern, diese Linie in meinem Revier schon mal gesichtet zu haben.
Starre angespannt auf die Infotafel.
Die Straßennamen habe ich noch nie gehört.
Soll ich wieder aussteigen?
Panik! Am nächsten Stopp hüpfe ich raus.
Werfe Maps an:

*Zum Lindenauer Markt 30 Minuten*

Shit – Shit – Shit!
Dann ist der Bus weg.
Shit – Shit – Shit!

Ich denke an den sauren Apfel und rufe den LieblingsIngo an.
“Sorry, komme später – wieder verlaufen” Höre sein Lachen und latschiere los.
Diesmal wirklich komplett ahnungslos, wo ich mich eigentlich befinde.
Während ich so vor mich hin sinniere, wieso ich mir einfach den Weg nicht merken kann
– renne ich gegen ein Schild. Und da steht sie – die Erkärung
Ich bin ein *Unikatum.*
‘ ein Unikat mit special effects

Dienstag – langer Tag.
Weil ich Donnerstag ein PCR-Date habe.
Damit ich mich nicht wieder verirre, rufe ich Giselle in Köln an
und ernenne sie zu meiner Latschierbegleitung.
Trotzdem wäre ich fast wieder in die falsche Richtung getappt.

Am Mittwoch gehe ich den mir bekanntesten, sicheren Weg.
Schließlich gibt es abends ein paar Schwesskapaden, die ich gern erleben möchte.
Davor muss ich mich hygienieren und sättigen, damit ich danach gleich ins Bett huschen kann.
Das ist der Nachteil des Extremseelenlüftens.
Ich falle um 9 um wie eine Erstklässlerin nach dem Wandertag.

Donnerstag morgens 6:48 Uhr – Umrundung des heimischen Einkaufscenters.
Das sind immerhin 1.48 Kilometer. In Sichtweite der Bushaltestelle.
Den Kopf voller recht unsinniger Gedanken latschiere ich vor mich hin:

Wie freut sich Bolle?
Und wer ist das eigentlich?
Warum bringen Scherben Glück?
Wieso sollte ich in die Grube fallen, die ich selbst gegraben habe?!
Wieso gesellt sich gleich gern zu gleich, wenn sich doch Gegensätze anziehen?

Plötzlich…
steh ich im Rampenlicht. Pfeifen? Johlen? Applaus?
Mein Magen hebt sich. Irgendwas zwischen Glücksgefühl und Angst.
Nö, Glück gehabt.
Nur ein lautes Hupen.
Ich werde knallhart in die Wirklichkeit katapultiert:

Keine Freude über meine bunte, schillernde Persönlichkeit.
Angehupt. Von der centereigenen Minikehrmaschine.
Puh, in die wäre ich nämlich fast hineingestolpert.
Blick auf die Uhr:
7:07 Uhr.
Wie jetzt ?!
WO IST DIE ZEIT HIN?
Von alten, grauen Männern geklaut, wie bei Momo?!
Ich begebe mich sofort zur Bushaltestelle, ziehe keine 2000 irgendwas ein und habe keinen Schimmer, ob mein Bus schon durch ist.
Verpeilt. Total.

Abends fahre ich zum Flughafen. Mit dem Freyerlein. Zum PCR – Date.
Und danach noch Mama- Sohn Geklöns. Bei Kaffee und Tee.

Freitag – letzter Arbeitstag vorm ersten Urlaub.
Eine Woche Ski fahren. Wenn ich negativ bin. Boarr.
Das zehrt vielleicht an den Nerven.
Auf dem Latschiergang endlich das Ergebnis – NEGATIV.
Ich freue mich so sehr, dass ich kurz Pirouetten drehe und jubele.
Während ich so die vielbefahrene, laute (richtungsänderende) Straße entlang trabe,
fokussieren meine Äuglein ständig irgend etwas.
Dachrinnen, Laternenpfähle, Brückengeländer.
Ich schaue den Menschlingen in die Fenster und entdecke überall lustige Sachen.
Fotografiere.
Ich liebe diese Straßenpoesie.
Plötzlich –
abruptes Stehen bleiben meinerseits.
Völlig überrascht drehe ich mich im Kreis.
Als wache ich aus einem langen Schlaf auf.
Und erkenne…
Deshalb verirre ich mich ständig!
Weil ich alles im Blick habe.
Und ständig irgendwelche witzigen Sachen suche.
Pure Erleichterung durchströmt mich. Und auch ein bisschen Wehmut.
Weil ich mich nämlich nie wieder in der Käthe- Kollwitz – Straße verlaufen werde.
Nach dem Urlaub werde ich dann wohl mal wieder durchs Waldstraßenviertel latschieren
und neue (Irr)-Wege finden.
Für’s Bushaltestellenpicknick zum Abschluss der Woche
gibt es ein Rustico mit Ohne Hick-Hack- Bällchen.

Ihr Lieben, Hals und Beinbruch wünsche ich euch.
Ich bin mich jetzt erstmal auf der Piste.
Ich hoffe, Hanni und Nanni wissen noch, wie man heil die Berge hinunter pistet.

Passt auf euch auf und bleibt negativ positiv!