329,17 Kilometer Pistenaufundab in 32 Stunden – Wahnsinn! Ich bin wohl doch nicht ganz so unsportlich, wie ich dachte!

1.Tag 
Sonntag
54,32 Kilometer in 5 Stunden und 28 Minuten.
Wahnsinn. Immer wieder erstaunlich, was mein Körper so zu leisten vermag.

Ich habe dem LieblingsIngo mal wieder vertraut:
“Ist nicht steil da oben. Hier schau…”
Spricht’s und fährt er los…
Ich stehe da. Kopfschüttelnd. Keine der drei Pisten ist für mich fahrbar. Alle total steil. Aber ich muss auf Hanni und Nanni runter. Mit dem Sessellift wäre faktisch eine Niederlage. Da riskiere ich lieber meine Knochen.
Meine Güte, bin ich bescheuert. Mut ist schließlich auch, mal etwas nicht zu tun. Trotzdem.
Also wähle ich die vermeintlich leichteste Piste aus und schnalle beim Losfahren – ey, ist die 81.
Die berühmte 81, die plötzlich mittendrin einfach mal schwarz wird.
2020 hatte ich da erst voll die Panik. So 10 Minuten Starre. Und dann bin ich seitlich hinuntergestiegen. Singend. Heulend.
Ich hab euch das mal erzählt.
Vielleicht erinnert ihr euch. Ich weiß es jedenfalls noch.
Ich passe nicht auf und BÄM – liege ich. Auf der 81.
Hanni und Nanni nach oben gereckt, rutsche ich bäuchlings Richtung Tal.
Ein kurzer Gedankenblitz an die Peinlichkeit verscheuche ich. Hauptsache, ich komme runter. Ist doch egal, wie.
Ich skiiere eben im Robbenstyle.
Lachend komme ich unten an und werde von zwei Snowboardler wieder auf Hanni und Nanni gestellt.
Ohne weitere Showeinlagen komme ich an meinen Lieblingsblaupisten an.
Aber wo steckt der LieblingsIngo?
Nach gefühlt einer Stunde haben wir wieder zusammengefunden.
Mein Unmut hat sich im Sonnenschein aufgelöst.
Aber ich schwöre, nie wieder dort hinauf zu fahren.
Zwei Stunden später stehen wir dann doch wieder dort oben.
*Nie wieder* bedeutet halt nicht immer *Nie wieder*
Diesmal nehme ich die Piste vom LieblingsIngo. Aufrecht.
Mein Selbstbewusstsein steigt. Und führt mich prompt auf die rote Piste, statt auf die Blaue. Auch in Österreich funktioniert er, mein Verorientierungssinn.

2.Tag. Montag. 4:52 Uhr.
Mein Wecker klingelt.
Shit, den habe ich vergessen auszumachen.
Macht nix, habe trotzdem über 8 Stunden geratzt. Den ganzen Tag körperliche Anstrengung an der frischesten Luft, die es gibt.
Hach, ich liebe meine Woche Winter.
Auch wenn ich mich kaum noch bewegen kann.
Um 10 Uhr stehen wir auf der Piste. Heute kein Sonnenschein. Weil gestern alles so prima geklappt hat, hab ich dem LieblingsIngo versprochen, heute mal von fast ganz oben mit zu skiien.
Aber um von ganz oben zu starten, muss man erst ganz hinab. Seltsame Logik.
Ich bin auf halben Weg schon wieder völlig verpeilt.
*Jetzt wäre der perfekte Moment mich los zu werden*, erkläre ich dem LieblingsIngo. Will er nicht. Ohne mich wäre es langweilig. Auch gut.
Unten an der Talstation der Gondel *ganz hinauf* ist die Hölle los. Ich schliddere auf Eis, rutsche weg, versuche Spagat und…
Krrrrrz.
Das war die Hose. Upps.
Ich stehe wieder auf.
*Und nun* murmelt der LieblingsIngo. Ich zucke die Schultern: Weiterfahren.
Erleichterung männlicherseits.
Das was gestern nach super Idee klang, ist es heute nicht mehr.
Nebel. Wind. Schneefall.
Ich hab Schiss. Aber ich komme runter.
Ist echt nicht mein Wetter.
Nach ein paar Stunden ist die Suppe auch weiter unten. Ich begehre die Rückkehr zu meinem Feierabendberg. Das ist ein blauer Hügel, den ich im Schlaf hinunter komme. Da kann sich der Ingo seine steilen Pisten runterstürzen, ohne an jeder Abzweigung warten zu müssen, ob *VerorientierungsWinnie* noch weiß, wo sie hin muss.
Aber einmal will er noch mit mir fahren.
Zum Glück.
Ich krieche durch den Nebel und…. auch Pisten ändern ihre Richtungen, echt wahr!
Mit Müh und Not finde ich meinen Sessellift wieder.
Skifahren mit 5 Meter Sichtweite ist irgendwie ein komisches Gefühl. Als wäre man ganz alleine auf der Welt. Ich bin gern allein.
Aber so in Nebel, Wind und Schnee eingehüllt die Richtung nicht wissen ist wirklich die totale Einsamkeit. Brrrr… das muss ich echt nicht haben.
Gegen 14 Uhr gab ich auf. Gefrierbrand im Gesicht. Hose bis zum Knie zerrissen.
Und patschnass.
Normalerweise grummelt der LieblingsIngo etwas von Weichei, aber heute zeigt er Verständnis.
Wir latschieren durchs Dorf und kurbeln die heimische Wirtschaft an. Im Sportladen eine neue Hose für die Chaosqueen. Damit der Pistenwahnsinn weiter und länger gehen kann.
Nicht nur 43, 24 Kilometer und 4 Stunden und 19 Minuten.

3.Tag. Dienstag.
Immerhin erst halb 6 wach, nach 8 Stunden Schlaf.
Ein Blick aus dem Fenster – es schneit. Auch im Tal. Super.
An der Bushaltestelle erschaffe ich Kunigunde, die Erste. Ich liebe Schneefiguren. Ein bisschen Spaß vor der nächsten Pistenherausforderung.

Kunigunde, die Erste

Es schneit nämlich immer noch. Die Sicht ist ein bisschen besser. Aber es fühlt sich an, als stehe ich das erste Mal auf Skiern. Schlingere, rutsche, wedele. Mit den Armen. Nicht mit den Skiern.
Am liebsten möchte ich mich zu dem Zwerg setzen, der am Pistenrand seinen Frust heraus schreit.
Ich beneide die Kids.
Ich glaube, wir Erwachsenen wären viel entspannter, wenn wir unsere Emos mal auf dem Boden liegend, mit den Beinen strampelnd, schreiend kund tun.
Aber das schickt sich ja nicht. 
Also kneife ich die A- backen zusammen.
Zelebriere, was mein Skilehrer vor 20 Jahren wie ein Mantra über den Skihang brüllte:
*Bei Neuschnee Gewicht nach hinten. Spitzen hoch.*
Wow, das funktioniert ja.
Und es tut nicht ganz so doll weh in meinen Beinen. Die fühlen sich nämlich an, als gehören sie gar nicht mehr zu mir.
Trotzdem habe ich nach der (etwas längeren) Pause die Nase voll von LieblingsIngos
*schönen* langen Abfahrten.
Ich will kurze Ab- und lange Liftfahrten.
Ich will jetzt genießen. So.
Auch in trauter Zweisamkeit will Winnie mal alleine sein.
LieblingsIngo gibt nach.
Ich entscheide mich für den Bärenhügel und cruise gemächlich, ohne nachzudenken, hinunter.
Knipse die Landschaft. Erwische sogar die Sonne. 

Und feiere mich selbst.
Weil ich auf dem Kinderhügel einfach super klar komme.
Nach 50,19 Kilometern in 4 Stunden und 56 Minuten haben wir fertig.
Ich laufe wie auf Eiern.
Kunigunde begrüßt uns lächelnd an der Bushaltestelle, als wir abgekämpft am Brunnen vorbei schleichen. Die hat es gut.

4.Tag. Mittwoch.
Nach 8 Stunden und 39 Minuten Schaf bin ich semi munter.
Liegt wohl an der Uhrzeit. 6 Uhr! 
Blick nach draußen: Es schneit. Natürlich. Meine Beine jaulen auf.
Zeit für eine Standpauke:
“Jetzt mal ehrlich, was jammert ihr eigentlich? Wir haben trainiert. Fast 100 Kilometer habe ich euch durch Leipzig gejagt. Jetzt müsst ihr doch eigentlich nur auf Hanni und Nanni stehen!”
Hilft nix.
An der Waldbahn ist die Rolltreppe kaputt.
Die Gondelbahn zu meiner Lieblingsabfahrt auch.
Und… es schneit.
Schneit.
Schneit.
So vorhangartig.
Die Sicht ist ebenfalls nicht unbedingt panoramamäßig.

Nach der Pause fordere ich trotzdem meine MeTime auf dem blauen Hügel.
Böser Fehler.
Der LieblingsIngo ist weg. Die Sicht auch.
Es ist einfach sooo unheimlich.
Du hörst Menschen und wenn du dich umdrehst… Niemand da.
Gerade, als ich beschließe. einfach am Lift zu warten, ruft eine aus dem Nebel auftauchende, vermummte Gestalt meinen Namen.
Der LieblingsIngo 🙏❤️:
*Wir schauen noch zur Teddy-Piste und wenn wir da auch nix sehen, machen wir Schluss! *
Die Teddypiste fährt sich gut, trotz Nebel. Meine Beinchen atmen auf. Ingo fährt weiter nach oben
und ich skiiere in babyblau. Hach, das ist so schön.
*Mein ganzes Leben nur dieser eine Augenblick* zitiere ich Schwessi und tauche in eine Nebelwand.
Der Wind umwirbelt mich mit Schnee und als ich wieder auftauche,
pistet neben mir ein…Murmeltier!
Es winkt mir zu. Ich winke zurück.
Rutsche weiter. Als ich mich umdrehe, ist es weg.
Gibt es auch im Schnee Fata Morganas?
Bin ich einfach nur schneegebeutelt?
Unten angekommen, große Erleichterung meinerseits.
Dort steht das Murmeltier.
Und winkt. Daneben der LieblingsIngo. Der winkt auch.


Es geht nach unten. Zum Apresdrink an der Busbar.
Nach immerhin 51 nebelverhangenen Ab- und Auffahrtskilometern.
Ich habe 5 Stunden und 11 Minuten durchgehalten.
Und morgen soll die Sonne scheinen.

5.Tag. Donnerstag.
6 Uhr.  9 Stunden und 11 Minuten geschlafen. So langsam komm ich in den Urlaubsmodus.
Beine jammern nicht mehr. Nur noch ein winziges Autsch.
10 Uhr auf die Piste – Rituale sind wichtig.
Wir fahren durch den Nebel und plötzlich – goldener Sonnenschein.
WOW!
So ein Sonnenstrahl bewirkt so viel:
Die Skischuhe sind nicht zu eng. Menschlinge lächeln. Der Schnee leuchtet einladend.
Man fühlt sich regelrecht seelengestreichelt.
Ich habe keinen Bock auf Experimente und schicke den LieblingsIngo alleine los.
Sanft skiiere ich die blauen Pisten hinab, genieße die volle Sonnendröhnung.
Plötzlich plumpst mir ein Teenie- Mädchen vor die Füße. Ich helfe ihr auf.
Sie grinst dankend, hält mir ihren weißbehosten Popo hin und fragt:
“Ist mein Hintern dreckig?”
Ich pruste los, sie auch. Dann fahren wir unserer Wege.

Hach, mit Sonnenschein ist doch alles viel leichter und lustiger.
Nach 6 Stunden und 10 Minuten treffe ich den LieblingsIngo an der Talstation.
Wir schaffen gerade noch den Lumpensammler ins Tal.
Mit einer singenden, angetüdelten Wandergruppe und sichtlich genervten Twens.
Ein Blick auf Schäne Pfonda lässt mich überrascht juchzen:
65.8 Kilometer.

6.Tag. Freitag. Letzter Pistentag.
Schade irgendwie.
6:30 Uhr wache ich mit leichtem Kopfschmerz auf. Shit, auch das noch!
Nützt nix – um 10 geht es auf die Piste. Strahlender Sonnenschein. Autsch!
Das piekt in den Augen.
Ich lasse mich langsam die Piste hinunter rutschen. Atme tief ein und wünsche mir den Kopfschmerz weg.
Manchmal funktioniert das.

Im Sonnenrausch habe ich dem LieblingsIngo noch einmal eine *vonfastganzoben* Abfahrt versprochen.
(*fastganzoben liegt bei 2500 Metern, das Skigebiet erhöht sich bis 2.820 Meter)
Im Sonnenschein und mit ganzer Hose. Da kann ich kein Kopfweh gebrauchen.
Fast ganz oben bedeutet erst ganz runter und… Ihr wisst schon.

Oben erstarre ich. Und vergesse das Kopfweh!
Der Ausblick ist der absolute Wahnsinn. Ich bin total lebendig.
Als kleiner Winniepups in unendlicher Weite. Nichts ist wichtig.
Nur der LieblingsIngo und ich. Dann noch das Freyerlein zu Hause.
Alles andere kommt später.
Puh… dieses Gefühl schließe ich tief in mir ein. Für traurige Novemberabende.

Die Piste nach unten ist rot, breit und lang.
Ich bin völlig eins mit mir selbst. Die Sonne im Gesicht, den Fahrtwind im Ohr genieße ich diese herrliche Aussicht. Es ist ein berauschendes Gefühl.

Unten angekommen trennen sich die Wege vom LieblingsIngo und mir.
Ich möchte auf meine Lieblingspisten, er auf seine.
Am letzten Tag möchte ich nur genießen.
Die Ruhe. Die Sonne.
Das ist dem LieblingsIngo zu langweilig.
Er braucht Adrenalin.
Die berühmten Gegensätze, die uns jetzt schon 27 Jahre
zusammen kitten.

So skiieren wir in 5 Stunden und 45 Minuten durch 64.62 Kilometer strahlend goldenen Sonnenschein und blütenweißen Schnee.
Ein bisschen wehmütig, weil es schon fast vorbei ist.

Ich bin dankbar, dass ich das zusammen mit dem LieblingsIngo erleben kann.
Dass wir gesund sind.
Mein Optimismusbarometer ist wieder aufgetankt.