Was war das Befreiendste, das du je getan hast?
fragte Schwessi vor einiger Zeit bei Facebook.

Ja, was war das denn? Ich horchte in mich hinein.
Nö… da ploppt nix auf. Jedenfalls nix Greifbares.
Keine Rundumlichtsirene, kein Erkenntnisfeuerwerk.

Ich las die Kommentare.
Hui, die Menschen haben schon viel erlebt.
Und sich befreit. Tolle Geschichten!
Meist ging es um Job oder Beziehungen.
Suchtentzug.
Ums Zuhause ausziehen. In die Welt ziehen.

Nochmaliges Inmichhorchen.
Ja. Das habe ich auch fast alles getan.
Dabei hatte ich es,
dieses befreiende Glückssgefühl.
Bis sich dann doch wieder eine Eigentlich – Aber- Situation ergab.
Und die Befreiung verfliegt wie Pusteblumenfallschirme im Sturm.

*
Nach Eigentlich folgt Aber
auf Nachdenken Gelaber
Schneefall endet in Matsch
bei Traurigkeit hilft Quatsch.

Nach Sonnenschein kommt Regen
aus peinlich wird verlegen
manchmal aus Liebe Frust
auf Ekel folgt Genuss
Kreativität killt Langeweile
Worte füllen Zeile um Zeile

Gegensätze ziehen sich an
gleich und gleich gesellt sich gern
Sprichwörter stimmen oder auch nicht
Weisheit löscht Dummheit
nach Dunkel folgt Licht

aus Angst wird Mut
aus Traurigkeit Wut
Empathie macht emotional
Ekpathie wirkt rational

Aus Bereicherung
wird der Verlust
Bewunderung weicht Frust
es folgt Stille, die ich nicht vetsteh’
unbeantwortete Fragen tun einfach nur weh.
Verständnis verwandelt sich in Verdruß
und auf einen furiosen Beginn
folgt das bittere Ende am Schluß
*

Beim Jobwechsel zum Beispiel…
Klar war der befreiend. Aber Spaß gemacht hat der Job auch.
Hat mir Erfüllung gebracht.
Nur dieses schlechte Gewissen und die Erkenntnis, dass ich es nicht schaffe,
Job und Familie zufriedenstellend für alle Seiten unter einen Hut zu bringen. Die haben mich gestresst.
Also *eigentlich* Befreiung aus dem Konflikt, wenn ich den Job aufgebe, *aber* auch der Verlust eines Teils von mir.
Verzwickt, Versagensangst statt Befreiung!
Ist das dieses Work- Life – Balance – Ding?
Dann habe ich das just in diesem Moment verstanden.
Noch eine Erkenntnis mehr.
Das war nicht das BEFREIENDSTE

Bei Beziehungen…
bin ich jetzt nicht unbedingt ein Experte.
Ich hatte noch nicht so viele.
Als Teenie war ich verliebt ins Verliebtsein.
Dieses Kribbeln im Bauch, das du nie mehr vergisst…
singt Pe Werner.
Ausloten…vorsichtiges Umkreisen… kichernd flirten…
verschämtes Händchenhalten…der erste ungeschickte Kuss…
Ja, das war toll.
Dieses ständige Zusammensein und Rücksicht nehmen müssen
dann aber eher weniger.
Also hielten meine Lovestories nur, bis das Kribbeln vorbei war.
Ich zog weiter. Wie ein Schmetterling zur nächsten Blüte.
Das hatte nichts Befreiendes, weil es einfach nichts zu befreien gab.
Aus den Augen, aus dem Sinn…
Bis dann mit dem LieblingsIngo der Typ kam,
bei dem das Kribbeln einfach nicht aufhört!
Aber da war ich schon ein total lebenserfahrener Twen.
Und das ist eine ganz eigene Geschichte.
Kurz darauf habe ich das mit dem Mama sein versucht.
Dieses Experiment läuft noch…

Sollte ich wirklich noch nichts Befreiendes getan oder erlebt haben?
Echt jetzt?!

Wie ist es denn mit dem Suchtentzug?
Öhm…ja…ich rauche nicht mehr. Seit 5 Jahren.
Das war, nach all dem Kummer und Sinnsuchen,
letztendlich schon auch befreiend. Damals.
Aber nach 5 Jahren hab ich mich daran gewöhnt. Nichts gespart.
Und ich renne immer noch total Atemlos durch die Nacht – also gab es auch gesundheitlich jetzt keinen offensichtlichen Zugewinn.

Ich lese weiter in den Kommentaren zu Schwessis Post.
Moment, ich lese! BÄM – Das ist es!
Das absolut Befreiendste, das ich jemals getan habe, ist…TaDa:
das LESEN LERNEN.

Ich war fünf, Anfang 1978. In diesem Jahr wollte ich sechs werden. Unbedingt! Sechs war für mich die magische Zahl.

Und ich sollte in die Schule kommen. Da habe ich mich nicht ganz so doll drauf gefreut. Jedenfalls erinner ich mich daran nicht.
Ich war bei Oma und Opa. Das war toll!
Mein Opa hatte das längste und höchste Bücherregal der Welt. Echt wahr. Ich musste den Kopf in den Nacken legen,
und konnte das oberste Regalfach trotzdem nicht sehen.
Mein Opa hatte auch eine Büchergarage. Da waren die ganz alten Sachen drin. Die so schön staubig rochen.
Und braunweiß aussahen. Säpja hat mein Opa das genannt.
Opa war auch mein Chefvorleser. Er hat wirklich alles vorgelesen, was ich wollte.
Auch Erwachsenenbücher wie die Schatzinsel und die Reise zum Mittelpunkt der Erde.
Doch mein Lieblingsbuch war ein großes, dickes Buch mit einem Mississippidampfer drauf und drei Jungen am Lagerfeuer.
Was eine Missisdingsdampfer war, wusste ich nicht so genau.
Ich fand es auch nicht heraus, weil mein Opa sich strikt weigerte,
mir dieses verflixte Buch mit den tollsten Bildern,
die ich je gesehen hatte, vor zu lesen.
Ich konnte quengeln, schreien, beleidigt tun, betteln
– keiner meiner KleinMädchenTricks funktionierte.
Seine ewig gleiche Antwort auf meine Frage:
“Manche Bücher MUSS man selbst lesen.
Herr der Fliegen und Tom Sawyer sind solche Bücher.
Wenn du lesen kannst, schenke ich dir das Buch.”
Also…

…lernte ich lesen.
Wenn ich etwas wirklich, wirklich will, dann lege ich eine sture Hartnäckigkeit an den Tag, der sich keiner widersetzen kann.
Ich nervte sämtliche großen Menschen
(dazu gehörten all die, die schon Lesen konnten!)
mit Fragen nach Buchstabenbedeutung und Aussprache.
Ich malte die Zeichen ab und merkte mir, welcher Buchstabe wie aussah. Das E zum Beispiel war ein umgedrehter Tisch mit drei Beinen.
Das W eine doppelte Rutsche.
Mein Lieblingsbuchstabe, das S,
sah aus wie der Haken beim Fleischer, an dem mein Leberkäse hing.
Wo ich ging und stand, buchstabierte ich vor mich hin.
Alle fremden, großen Leute fanden das süß und halfen mir natürlich gern.
Die für mich verantwortlichen, großen Menschen
reagierten eher semibegeistert:
DIESES KIND IST UNMÖGLICH!
und schickten mich entnervt zum Spielen auf die Straße.
Alleine! Das durfte ich vorher nie.
Und genau dort traf ich meine Rettung in Sachen lesen.
Silke von gegenüber war 12 und die Älteste einer Großfamilie.
Mit Nerven wie Drahtseilen.
Dank ihrer 5 kleinen Geschwister.
Da kam es auf eine sechste Nervensäge nicht an.
Wir spielten Schule (das hat meine Vorfreude nicht unbedingt befeuert)
Alte Schule mit Anschreien und Haue.
Mir egal, Hauptsache, ich lerne lesen.
Die anderen spielten Pause
und ich übte
Vogel-V, Ä und Ü,
Diese blöden Buchstaben konnte ich mir einfach nicht merken.

Und dann hatte ich es drauf.
An meinem sechsten Geburtstag schnappte ich Opas “Freiheit”
und buchstabierte akzentuiert:
marxistisch-leninistisches Zentralorgan
Ich werde niemals in meinem Leben seinen Blick vergessen.

Das eröffnete mir mein eigenes Fantasialand.
Nicht nur, dass an meinem sechsten Geburtstag Tom Sawyer zu mir kam und fast sofort mein bester Freund wurde,
ich konnte alles lesen. Wirklich alles.
Das Fernsehprogramm. Den Filmabspann. Straßenschilder.
Ich konnte alleine lesen. Wann ICH wollte.
Nicht, wenn mal jemand Zeit hat.
Sogar Altdeutsch hatte ich bald drauf.
Wegen Magda Trott und ihrem Goldköpfchen. Und dem Trotzkopf.

Dann kam ich in die Schule.
Ich weiß wirklich nicht, warum ich da hin musste.
Ich konnte doch lesen. Und zählen.
Reichte doch!
Fand meine Lehrerin nicht.
Sie nahm es sehr persönlich, dass ich lesen konnte.
DIESES KIND IST UNMÖGLICH!
Haha, aber wegnehmen konnte sie mir das nicht. Verbieten auch nicht.
Immer, wenn sie mich beim Geschichten lesen erwischte,
musste ich mich in die Ecke stellen.
Und da träumte ich mich fort…
auf einen Mississippidampfer. Ans Lagerfeuer zu Tom Sawyer.
Oder auf die Insel Krk zur Roten Zora.

In späteren Jahren, als Teenie, wurde ich Klassenvorleserin.
Unbekannte Texte. Gedichte. Dramen. Tragödien.
Mit Betonung. Das hatte ich drauf.
Ich war die Julia, weil ich so schön laut und deutlich
den Romeo anschmachtete.
Das war genau mein Ding.
Witzig sein, ohne mich oder das Stück lächerlich zu machen.
Komischerweise hatte ich beim Vorlesen auch noch nie Selbstzweifel.
Oder Angst.

Als ich Mama wurde, habe ich das Lesen noch einmal anders neu entdeckt. Jetzt war ich FamilienChefvorleserin.
Alle Abende (fast 12 Jahre lang) habe ich jedes greifbare Buch vorgelesen.
Ich kann heute noch das Lieblingseinschlafbuch
vom zweijährigen Freyerlein auswendig aufsagen…
Dann wurden die Kinderbücher zu langweilig.

Der kleine Bär rockte einfach nicht mehr!
Die Schatzinsel und Harry Potter
fand das Freyerlein viel hotter!

Da war er fünf. Und lernte lesen.
DIESES KIND IST UNheimlich toll!

Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie begeistert und berührt ich war,
als mein zehnjähriges Freyerlein den Rezitatorenausscheid der Grundschule gewann.
Weil er so überzeugend das Lied vom Kranksein aufsagte.
Den Vorlesewettbewerb seiner Grundschule.
Weil er ein wilder Kerl war.
Den Vorlesewettbewerb vom Börsenverein.
Weil der Eddy keine Mädchen mochte. Klassensieger.
Weil der Eddy Mamas neuen Mann nicht mochte. Schulsieger.
Weil Die Sache mit Finn doch nicht so lustig war, wie es sich anhörte. Landkreissieger.
Ich war soooo stolz aufs Freyerlein. (Bin ich immer noch.)

Jetzt, 42 Jahre später, ist Lesen gelernt zu haben,
immer noch das Größte für mich.
Ich lese alles, was mir in die Finger kommt.
Kinderbücher. Horrorthriller. Krimis. Erfahrungsberichte. Selfcarebücher.
Kochbücher. Nein, Quatsch! Keine Kochbücher!
Aber auch mal etwas Englisches, weil nichts anderes mehr da ist
(in der Hotelbibliothek auf Fuerteventura).
Videotext. Socialmediaposts.
Und dabei entdeckte ich – so ganz nebenbei in einem Instagrampost –
die befreiendsten Bücher meines Lebens.


Ungezähmt
von Glennon Doyle

Seit ihrem zehnten Lebensjahr strebt Glennon Doyle danach, gut zu sein: eine gute Tochter, eine gute Freundin, eine gute Ehefrau –
so wie die meisten Frauen schon als Mädchen lernen, sich anzupassen. Doch statt sie glücklich zu machen,
hinterlässt dieses Streben zunehmend ein Gefühl von Müdigkeit, Über- und Unterforderung.
Glennon – erfolgreiche Bestsellerautorin, verheiratet, Mutter von drei Kindern – droht, sich selbst zu verlieren.
Bis sie sich eines Tages Hals über Kopf in eine Frau verliebt – und endlich beschließt, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.
Glennon Doyle zeigt uns, was Großes geschieht, wenn Frauen aufhören, sich selbst zu vernachlässigen,
um den an sie gestellten Erwartungen gerecht zu werden, und anfangen, auf sich selbst zu vertrauen.
Wenn sie auf ihr Leben schauen und erkennen: Das bin ich. Ungezähmt.

Frauen! Mit diesem Buch können wir es uns nicht gemütlich machen.
Es ist unerträglich, es tut weh und es legt den Finger in unsere Wunden. Wir können Ungezähmt nicht lesen,
ohne uns der Gitterstäbe bewusst zu werden, die unser Leben umstellen.
Und mit jeder Seite wächst die Sehnsucht nach Freiheit.
Und der Mut, sich auf die Suche zu machen nach dem eigenen, wilden, ungezähmten Ich, nach dieser wunderbaren Frau, die wir sind,
wenn wir aufhören, anderen gefallen zu wollen.
Iss den Apfel, Eva, und lass es brennen!

Ich will mich ja selbst lieben, aber muss ich mich dafür ändern?
von Ina Rudolph

Ist Selbstliebe anstrengend? Muss man dafür diszipliniert sein? Üben? Sich beherrschen? Und bin ich jemand anderes, wenn ich mich ändere? Eines vorweg: Ändern muss ich mich nicht, aber sich Fragen stellen, das macht Sinn. Und am besten die vier „The Work“-Fragen von Byron Katie. Mit deren Methode im Gepäck hat sich die sympathische Autorin auf den Weg gemacht, um in vielen beispielhaften Geschichten und Episoden aus ihrem Alltag und ihrer Erfahrung als Coach eine Antwort auf die zentrale Frage „Wie geht Selbstliebe?“ zu finden. Unterhaltsam geschrieben und mit charmanten Illustrationen wird die Ichfindung zur kurzweiligen Lektüre. 

Ich will ja loslassen, doch woran halte ich mich dann fest?
von Ina Rudolph

Die meisten Befürchtungen, die wir den ganzen Tag hegen, treten nie ein. Die meisten Sorgen,
die wir uns machen, lösen sich wieder in Luft auf. Aber wir halten diese Gedanken trotzdem für wahr,
wir spüren ihre Wirkung und werden traurig, mutlos und niedergedrückt. Wie wäre das Leben
ohne diese Gedanken, befreit von allem Unheil, das zwar noch nicht da ist, das wir aber in Zukunft vermuten?
»The Work« von Byron Katie, diese berühmte und radikale Methode zur Selbsterkenntnis,
ist für viele der direkteste Weg, um das Loslassen zu lernen.
In lebendigen und berührenden Geschichten erzählt Ina Rudolph von ihren Erfahrungen mit »The Work«:
wie sich ihre Freundschaften, die Beziehung zu ihrem Lebenspartner
und ihrer Tochter,
ihre berufliche Situation nach und nach veränderten.
Wie sie lernte, durchs Leben zu gehen ohne zu wissen,
was als nächstes geschieht.
Die Realität bleibt die gleiche, doch es fühlt sich ganz anders an.
Ein berührendes Buch, das Mut macht,
einen neuen Blick auf das Leben zu werfen:
Es zeigt, wie man zu einem wirklich schönen Leben gelangt.

*Werbung ohne Geld*

Mittlerweile mag ich auch Hörbücher.
Wenn es keins gibt, mache ich selbst eins.
Das kann ich auch nur, weil ich lesen gelernt habe.
Deshalb ist LESEN das Befreiendste, das ich jemals getan habe.
Weil sich jede andere Freiheit und Befreiung daraus ergeben hat.

1 Kommentar

  1. Du bist wirklich unmöglich…
    Unmöglich schöne Geschichte von Deiner Befreiung, unmöglich gut geschrieben 👍🧡🍀

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