Früher, als ich so ein süßes, kleines Ding war,
gab es sie noch in meinem Leben – die Wochenendrituale.

Mein Leben war noch nicht selbstbestimmt.
Deshalb musste ich diese furchtbaren Rituale mit machen!
Samstag, morgens um 6 Uhr ging das schon los.
Weckerklingeln! Schule!
Kaum hatte ich das hinter mich gebracht
und war endlich zu Hause eingetrudelt, gab es Mittagessen.
Suppe.
Bähhhh…Suppe!
Welch eine Zumutung für mich als Suppen – Winnie:

*Die Winnie, die war kerngesund,
ein fesches Mädel, kugelrund,
Sie hatte Backen rot und frisch;
Die Suppe aß sie nie bei Tisch.
Gleich fing sie immer an zu schrei’n:
„Ich esse keine Suppe! Nein!
Ich esse meine Suppe nicht!
Nein, meine Suppe ess’ ich nicht!*

(frei nach dem grausigen Buch “Der Struwwelpeter”)

Und dabei ist es dann geblieben.
Suppe akzeptiere ich (auch heute noch) nur aus der Tüte.
Mit Buchstaben. Zahlen gehen auch.
Oder meinetwegen auch Weihnachtsengel.
Hauptsache aus der Tüte!

Dann sollte ich mein Zimmer aufräumen.
Empfand ich als Zumutung.
Jetzt mal ehrlich:
Ich war schon 4 (VIER) Stunden in der Schule!
Musste Suppe essen! Und nun auch noch Aufräumen!
Das zog sich ewig hin.
Spätnachmittag. Feierabend für den Samstag.
Im Idealfall setzte ich mich jetzt schnell zu Oma und Opa ab,
dort konnte man das Wochenende (was davon übrig war) genießen,
sich verwöhnen lassen und das Sonntagsritual umgehen.
Schaffte ich allerdings nicht immer.
Und so musste ich ihn doch immer mal absolvieren –
den verhassten SONNTAGSSPAZIERGANG.

Als ich endlich das Sagen hatte in meinem Leben,
schaffte ich dieses Ritual ab. Einfach so!
Nur ab und zu ein Spaziergang zur Tankstelle.
Mit flauem Magengefühl und fürchterlichen Hämmern im Kopf.
Ihr wisst, was ich meine, oder?
Aber wirklich nur in Notfällen.
Wenn die Kippen alle waren. Oder die Cola.
Und kein kleiner Bruder in Sicht, den man schicken könnte.
Für ausgiebige Spaziergänge hatte ich auch definitiv keine Zeit mehr.
Sonntags kroch ich nämlich nie
vor 2 Uhr ins und aus
dem Bett.

Dann kam das Freyerlein.
und mit ihm die Sonntagsspaziergänge wieder in mein Leben zurück.
Nur dann hat der Bengel nämlich geschlafen. Im Kinderwagen im Südpark.

Nach ein paar Jahren war damit Schluss.
Das Freyerlein zog Wärme und diffuses Licht des Fernsehers
dem Sonnenlicht und der frischen Luft vor.

Deshalb nannten wir Spaziergänge Expeditionen.
Wir erfanden geheime Missionen. Nur so kam man ins nächste Level.
Die Umbenennung nahm dem Ritual *Spaziergang* den langweiligen Beigeschmack.
Wir zogen Sonntag für Sonntag durch die Gegend.
Von Spielplatz zu Spielplatz. Und hatten sogar Spaß daran.

Trotzdem war ich ganz froh, als endlich die Sonntage kamen,
an denen das Freyerlein niemals vor 2 Uhr ins und aus dem Bett kroch.

Nun haben wir Corona.
Die Freizeitbeschäftigungen sind auf ein Minimum beschränkt.
Jedenfalls die, die Spaß machen. Bei denen man Menschen trifft.
Und Schwupps – haben sie die Chance genutzt und sie sich wieder in unser Leben gedrängelt: Die SPAZIERGÄNGE

Was mir da so alles widerfahren ist, liest sich
wie ein Tatort – Drehbuch:
Keifende Menschen – kläffende Hunde – abstürzende Seiltänzer –
verlorene und ausgesetzte Kinder –
Mord und Totschlag – Flucht
eben einfach alles, was so passieren kann auf einem

Spaziergang oder I will survive – ein Stück in drei Akten
lest bitte hier:

1. Akt: Der Waldspaziergang am Morgen
2. Akt: Der Parkbesuch in der Mittagspause
3. Akt:
Abendlicher Gewaltmarsch durch Lindenau

Ich habe beschlossen, ich laufe solange weiter bis Corona vorbei ist.
Ein AntiCoronaSpazierSurvivalgang.
Für eine bessere Welt.
Oder bis ich 50 Kilogramm wiege
(das dürfte ungefähr alles gleichzeitig passieren)

Jeden Tag.
Morgens.
Mittags.
Abends.
Schäckie Schan, mein Fitnessarmdings soll tanzen und hüpfen vor Freude!.
Ich möchte die Kilos von mir purzeln spüren.